„Zahn“ unterwegs

Einer der wenigen Steine, der vom Künstler gegenständlich benannt wurde, ist der „Zahn“; ein heller, klobiger Stein, dessen Farbe, Form und Oberflächentextur an einen menschlichen Zahn mit einer abgebrochenen Wurzel erinnern. Gefunden im Fluss Weißach, irgendwo zwischen Kreuth und Rottach-Egern, ist er bislang der einzige Stein, den der Künstler trotz seines beträchtlichen Gewichts aus seinem ursprünglichen Kontext herauslöste, aufwendig transportierte und in anderen Landschaften und örtlichen Kontexten stellte.


In seinem natürlichen Habitat, der Weissach, thront der „Zahn“ unwuchtig, in kaum zu glaubender Balance, in großer Ruhe. Der gewählte Trägerstein zeigt sich als gleichmäßige, pyramidale Form, auf deren Spitze der „Zahn“ mit seiner geringstmöglichen Auflagefläche aufsitzt. Grundstein und Stellstein sind beide natürlichen Ursprungs, deren Platzierung im Bachbett der Weißach durch Erosion und die Kraft des Wassers (aber vielleicht auch durch menschlichen Einfluss durch Trift und Begradigungen) entstanden. Die Kombination wirkt authentisch, „stimmig“.

Kreuth, 29. August 2022, 17.07 – 18.43 Uhr (fotografisch dokumentierte Mindeststandzeit)


In anderen räumlichen Kontexten und Untergründen wirkt der Zahn deplatziert, künstlich, surreal und weit stärker wie eine Bildmontage. Form, Textur und Farbe passen nicht zu dem mit Moosflechten bewachsenen Sandstein vor Weinreben im Hintergrund und seitlich wachsenden Brombeerhecken. Im Rebenmeer ist der Zahn unpassend; ein Fremdkörper. Völlig unproportional und geradezu bedrohlich wirkt der Zahn auf dem Kopf eines anderen Trägerobjekts, eines ebenfalls moosbewachsenen Gipsabgusses einer antiken Plastik. Fotografiert in Untersicht, zwischen Wildrosen und Weiden vor einem Fachwerkhaus im Hintergrund, scheint er den schmalen Kopf der fragilen Plastik nahezu spalten zu wollen. Die Figur trägt eine Last, die größer (und schwerer) zu sein scheint als ihr eigener Oberkörper! Benkwitz radikalisiert hier sein Austesten der Unterlage und dessen Balance. Denn der „Grundstein“ (die Gipsplastik) verlässt sich selbst auf einen fein austarierten, prekären Stand. Auch wenn der Balanceakt als solcher bei allen drei Beispielen trotz wechselnder Untergründe funktioniert, erprobt Benkwitz hier besonders den Effekt der Kontextveränderung, der Materialkombinationen und die dadurch erzielten verschiedenen Wirkungen.

Pfalz/Hessen, ohne Datum (nach 29. August 2022, Mindeststandzeiten unbekannt)

© Idee/Objekte/Fotos: Andreas Benkwitz; Text: Annette C. Cremer