Über den Künstler

Andreas Benkwitz, geb. 1968 in Tegernsee, studierte Politikwissenschaften, Soziologie und Psychologie in München und Marburg; seit 1998 Engagement in der freien Musik- und Theaterszene, besonders Kinderschul- und Improvisationstheater; seit 2001 Mitglied des AIN (Applied Improvisation Network) mit Konferenzteilnahmen u.a., in Banff, Kanada und Trondheim, Norwegen. Benkwitz, seit 1999 fasziniert und inspiriert von dem englischen Landart-Künstler Andy Goldsworthy, u.a. dessen Arbeiten zu und mit Stein und Holz, begann 2020 in den bayrischen Alpen und dann sukzessive auch an anderen Orten, Steine auf die Spitze zu stellen.


Das Stellen dauert dabei unterschiedlich lang, von zehn Sekunden bis zehn Minuten, aber niemals mehr; sehr selten gelingt das Stellen nicht. Egal in welcher Landschaft ihn der Impuls zu einem ephemeren Kunstwerk bewegt, der performative Prozess des Stellens beginnt mit der Auswahl des Trägerobjekts oder Grundsteins. Der Stellstein muss beweglich, von Größe und Gewicht her tragbar und in Form, Farbe und Oberfläche interessant und „vielversprechend“ sein, so Benkwitz. „Und er muss in der Hand leicht zu handhaben sein, sobald er abgesetzt werden kann.“ Doch zuvor betrachtet und betastet er den Stein von allen Seiten und sucht nach kleinen Vertiefungen, präzise nach drei Auflagepunkten, ohne die der Stein nicht frei ausbalanciert werden und stehen kann.

Sobald der Stein mit seiner Spitze auf den Trägerstein aufgesetzt wird, beginnt die eigentliche Balancearbeit. Der Stein wird mit beiden Händen gehalten, gedreht, gekippt, betastet; Benkwitz erfühlt die Druckpunkte und Widerstände und die minimalen Veränderungen des Winkels, der Bewegung, die nötig sind, damit der Stein auf seiner kleinsten und unwahrscheinlichsten Fläche ohne jede Hilfskonstruktion und Stütze ausbalanciert werden kann. Den Moment des perfekten Äquilibriums, die Sicherheit, die perfekte Position zwischen Grundstein und Stellstein gefunden zu haben, teile sich über seine Hände mit. Währenddessen ist seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf den Stein gerichtet. Plötzlich sei vollständige Balance erreicht – Benkwitz spürt, wann er seine Hände vom Stein lösen kann. Der unglaubliche, der perfekte Moment ist erreicht.

Wie lange dieser währt, das weiß der Künstler nicht; das kann und will er nicht beeinflussen. Mal sind es Minuten, mal Stunden, manchmal stehen die Steine sogar noch am Folgetag. Mitunter fällt der Stellstein, während der Künstler noch anwesend oder im Weggehen begriffen ist. In 98% aller Versuche gelänge das Äquilibrium, meint Benkwitz. Nur selten würde er den Stellstein wechseln oder ganz aufgeben. Die Projektsessions dauern inklusive der Fotodokumentation üblicherweise nicht länger als 1,5 Stunden, in denen bis zu fünf ephemere Kunstwerke, häufig körperlich anstrengend, realisiert werden.

Auf die Frage, was ihn am Steine-Stellen am meisten fasziniere, antwortet Andreas Benkwitz: die Auseinandersetzung mit den Elementen, die Verschiedenartigkeit der Steine, das Ausprobieren und im Moment-sein, die Freude am Tun und am Ergebnis. Und an der Magie des wundersamen Gelingens. Benkwitz überträgt dabei die Prinzipien des Improvisationstheaters auf seine ephemeren Steinskulpturen: „einfach“ mit dem arbeiten, was gerade da ist, Fokus auf das, was funktioniert, die Stimmung aufnehmen, im und für den Moment sein und vom Gelingen der situativen Interaktion überzeugt sein.


Kreuth, 15. Dezember 2025
© Idee/Objekte/Fotos: Andreas Benkwitz; Text: Annette C. Cremer